Sehr geehrter Herr Tatli,

ich beziehe mich auf Ihr Schreiben vom 19. April 2016, in dem Sie auf einen Antrag der armenischen Gemeinde in Köln hinweisen, mit dem erreicht werden soll, einen Kreuzstein auf dem Friedhof Lehmbacher Weg in Köln-Brück mit Verweis auf die Ereignisse des Jahres 1915 zu errichten.

Sie betrachten diesen Kreuzstein als problematisch, da „er durch den Verweis auf einen angeblichen ‚Genozid‘ als ein öffentlicher Mahnstein eben diesbezüglich politisiert wird, wenn er Feindlichkeit schürt und nicht das Miteinander im Blick hat.

Es geht Ihnen also darum, dass keine öffentlichen Symbole aufgestellt werden, die, wie von Ihnen in Ihrem Schreiben genannt, an einen „angeblichen Genozid“ oder die „Geschehnisse“ im Jahr 1915 erinnern.

Soweit ich die Zusammenhänge kenne, geht es um die Ereignisse ab dem Frühjahr 1915, in deren Verlauf zunächst zahlreiche Führer der armenischen Gemeinschaft in Istanbul (Politiker, Geistliche, Intellektuelle, Geschäftsleute) verhaftet und anschließend überwiegend ermordet wurden. In der Folge wurde befohlen, die Armenier aus ihren Siedlungsgebieten im Osten des Landes in die syrische Wüste zu deportieren. Viele Armenier, vor allem Männer, wurden bereits in unmittelbarer Nähe ihrer Heimatorte getötet, andere fielen auf den Todesmärsche der Gewalt der sie begleitenden Truppen, den Überfällen marodierender Banden, Hunger, Durst und Entkräftung zum Opfer. Ende 1915 blieben von der alten und reichen armenischen Kultur in den meisten Orten im Osten des Osmanischen Reiches nur leere Dörfer und Städte sowie Kirchen übrig. Etwa zehn Prozent der Armenier, die 1914 im Osmanischen Reich lebten, waren nach Schätzungen auch der neueren Forschung am Ende des Ersten Weltkriegs noch am Leben.

Sie begründen Ihr Anliegen, die Ereignisse nicht als Völkermord zu bezeichnen, damit, dass hierdurch Türken bzw. türkischstämmige und muslimische Bürger stigmatisiert würden. Zudem sei die Bezeichnung Völkermord einseitig, da historisch nicht eindeutig und diene dazu, zu politisieren und zu instrumentalisieren. Es könne Feindschaft und Abneigung gegen die türkische und muslimische Bevölkerung hervorgerufen werden. Sie schlagen stattdessen vor, dass aller Opfer des Ersten Weltkrieges gedacht werden soll.

Im Namen der von Ihnen angeschriebenen Fraktion der AfD im Kölner Rat erlaube ich mir den Hinweis, dass wir Ihre Ansichten nicht teilen. Wir halten, wie soeben auch vom Deutschen Bundestag beschlossen, die Ereignisse im Jahr 1915 im Zusammenhang mit den Armeniern für einen Völkermord, d.h. es wurden systematisch Angehörige der armenischen Bevölkerung in großer Zahl  vertrieben und ermordet.

Dies so zu benennen bedeutet jedoch nicht, Türken, zumal die heute lebenden, zu stigmatisieren. Täter gibt es immer nur in konkreten historischen Zusammenhängen. Es gibt kein „Tätervolk“, insofern ist es völliger Unsinn, alle Türken zur Zeit des Ersten Weltkriegs und erst recht nicht die heutigen Türken für diese Ereignisse verantwortlich zu machen. Soweit wir es erkennen können, ist dies auch gar nicht die Absicht des vorgesehenen Kreuzsteins bzw. der Resolution des Deutschen Bundestages oder anderer Versuche der Armenier, an die Ereignisse rund um den Völkermord zu erinnern.

Sie schreiben auf Seite 2 Ihres Schreibens, „ein Gedenkstein darf nicht einem politischen Selbstzweck dienen“. Doch, natürlich darf er das. Er soll an bestimmte Ereignisse, Menschen bzw. deren Taten erinnern, insbesondere wenn diese mit dem Schicksal des eigenen Volkes zusammenhängen. Das Wachhalten eines gemeinsamen Bewusstseins ist politisch und dabei auch völlig berechtigt. Unserer Auffassung nach soll nämlich nicht an jedem Ort und jederzeit und ausschließlich immer aller gedacht werden. Dies macht das Erinnern beliebig und völlig unkenntlich.

Wir glauben Sie an unserer Seite, wenn, wie es sicherlich auch seit Jahrzehnten der Fall ist, ausdrücklich an die Vertreibung von zahllosen Türken bzw. Muslimen vom Balkan vor und nach dem Ersten Weltkrieg erinnert wird.

Wir glauben Sie an unserer Seite, wenn der gefallenen türkischen Soldaten des Jahres 1915 bei Gallipoli (Canakkale) gedacht wird, auch der dort mit ihnen gefallenen verbündeten deutschen Soldaten und mittlerweile auch der dort gefallenen alliierten Soldaten. Dieses Erinnern ist auch deswegen besonders, da es eng mit dem Vermächtnis von Mustafa Kemal verbunden ist.

Wir betrachten die Erinnerung an den Völkermord von 1915 daher nicht als Zeichen der Ausgrenzung und Stigmatisierung, sondern als ganz konkrete Erinnerung, die einen Platz im Gedächtnis der Welt verdient.

Gerne stehen wir jeder Zeit für Gespräche zu diesem Thema bzw. auch weiteren Anliegen Ihres Verbandes bzw. der türkischen Gemeinde in Köln bereit.

Für Rückfragen stehe ich Ihnen gern zur Verfügung.

Roger Beckamp
Fraktionsvorsitzender

P.S.: Brief erhalten Sie im Original auf dem Postweg.